Position zum Kontext Sexwork/Prostitution

Feminism Unlimited ist ein neues Bündnis, bestehend aus diversen Gruppen und Einzelpersonen. Aufgrund der Kürze der Zeit, dem immensen Organisationsstress, verschiedener Schwerpunkte, Perspektiven und Wissensstände innerhalb des Bündnisses, ist es für uns keine leichte Aufgabe, eine einheitliche Position zum Kontext Sexwork/Prostitution zu erarbeiten, zumal unsere Hauptmotivation der Gründung andere Schwerpunkte beinhaltet. Wir stehen noch am Beginn einer gemeinsamen Auseinandersetzung, möchten aber gerne einen Zwischenstand bzw. die Eckpunkte unserer Diskussionen mit euch teilen, weil wir verstehen, dass eine Positionierung in diesem Themenfeld für viele Menschen wichtig ist.

Was wir in Kürze klarstellen können:

Differenziertheit ist wichtig für eine konstruktive politische Arbeit, das Abbilden von Vielstimmigkeit und tatsächliche Solidarität. Dazu gehört eine begriffliche Unterscheidung zwischen selbstbestimmter Sexarbeit (soweit selbstbestimmte Arbeit im Kapitalismus eben möglich ist), Prostitution (sexualisierte Ausbeutung und Gewalt) und Menschenhandel zum Zweck der sexualisierten Ausbeutung – wobei diese Unterscheidung viele Grauzonen hat und nicht immer eindeutig sein kann. Uns ist bewusst, dass sexualisierte Ausbeutung im Kontext von Prostitution und Menschenhandel vor allem auf Gewalt gegen arme und migrantisierte Frauen basiert und lehnen daher das dem zugrunde liegende patriarchale und kapitalistische System ab – so, wie wir Patriarchat und Kapitalismus in Gänze ablehnen.

Als linke Feminist*innen steht für uns außer Frage, dass wir solidarisch mit Betroffenen sexualisierter Gewalt und gleichzeitig mit Arbeiter*innen in prekären Beschäftigungsverhältnissen sein wollen, egal in welchen. Solidarität muss sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen orientieren und die unterschiedlichen Lebenssituationen anerkennen: von Sexarbeitenden, die für Anerkennung und Arbeitsrechte kämpfen über Menschen, die aus Suchtdruck sexuelle Dienstleistungen anbieten, hin zu Betroffenen sexualisierter Ausbeutung und Gewalt.

Was wir als linke Feminist*innen wichtig finden und wovon alle genannten Gruppen trotz ihrer Unterschiede real profitieren würden: Ein bedingungsloses Aufenthalts- und Arbeitsrecht für alle! Ebenso wie bezahlbarer Wohnraum und klient*innenzentrierte Beratungsangebote, die sich an den Wünschen der Ratsuchenden ausrichten und nicht an der eigenen Haltung zu Sexarbeit! Und ganz klar: wirkungsvolle Konsequenzen für Täter!

Patriarchale und sexualisierte Gewalt muss in allen ihren Erscheinungsformen und in allen gesellschaftlichen Bereichen bekämpft werden, dazu gehört die Abschaffung des sexistischen Normalzustands, der sie ermöglicht.

Wir sehen, dass es im gegenwärtigen Diskurs oftmals schwer ist, über Gewalt zu sprechen – aus ganz unterschiedlichen Gründen. Im Mainstream gibt es einen sehr negativen Blick auf Sexarbeit, in dem kein Unterschied zu dem gemacht wird, was wir hier Prostitution nennen. Dass Sexarbeitende neben den eigenen Anerkennungs- und Arbeitskämpfen nicht ständig den Fokus auf Gewalterfahrungen anderer legen können, ist verständlich. Für andere sind es Stigmata, Abhängigkeiten, psychische und physische Gewalt, die das Schweigen sichern. Umso wichtiger ist es uns, neben der Sichtbarkeit von Kämpfen um Selbstbestimmung in der Sexarbeit, auch auf die patriarchalen Gewalt- und Abhängigkeitsverhältnisse Betroffener, die Zwangsverhältnissen und Gewalt ausgesetzt sind, aufmerksam zu machen und uns selbstverständlich auch mit ihnen zu solidarisieren. Wenn aber konservative Kräfte Maßnahmen wie das Nordische Modell dafür nutzen, Sexarbeiter*innen zu kriminalisieren und ihnen die Lebensgrundlage zu entziehen, halten wir klar dagegen und sehen, wie hier (Trans-)Misogynie, Rassismus, Polizeigewalt, Klassenverhältnisse und die damit zusammenhängende Diskriminierung mit Sexarbeiter*innenfeindlichkeit einhergehen.

Wir möchten ein Ort für die diversen feministischen Kämpfe und Perspektiven in diesem Kontext sein. Daher dulden wir auf unserer Demo weder Aussagen, welche die Gewalt in der Prostitution verleugnen, noch solche, die Sexarbeiter*innen stigmatisieren oder positive Bezüge zum Nordischen Modell beinhalten.

Auf der Demo wird es ein Awareness-Team geben, welches bei Diskriminierung und Übergriffen unterstützen kann und selbstverständlich auch Diskriminierung gegen Sexarbeitende auf dem Schirm hat (mehr dazu in unserem Awareness-Konzept). Wir wünschen uns sehr, dass Gleichzeitigkeiten und Widersprüche ausgehalten werden können – im Sinne breiter feministischer Allianzen und einer starken Bewegung, die sich dem mörderischen Patriarchat entgegenstellen kann. Unser Kampf soll auf Solidarität fußen!

Weiterführende Texte:

Antje Schrupp zur Unterscheidung von Sexarbeit und Prostitution:
https://www.zeit.de/kultur/2018-05/feminismus-prostitution-sexarbeit-unterscheidung-streit

Ban Ying e.V. (Koordinations- und Beratungsstelle gegen Menschenhandel): Die Bekämpfung des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung in Deutschland:
https://www.ban-ying.de/fileadmin/banying/publikationen/Artikel_MH_und_ProstSchG_Mai_2017.pdf

Die offizielle Position vom Europarat „Protecting the human rights of sex workers“ (entwickelt entlang geltender Menschenrechtskonventionen und im Austausch mit Fachverbänden und Expert*innen):
https://www.coe.int/hu/web/commissioner/-/protecting-the-human-rights-of-sex-workers